Rechtsradikale Positionen und Aktionen mobilisieren vermeintlich unterdrückte Gruppen und Meinungen für eine autoritäre Staatlichkeit, gegen Einwanderung und gegen eine plurale, multikulturelle Bevölkerungsstruktur. Der von den „Identitären“ gegen Geflüchtete gerichtete Slogan „Pro Border - Pro Nation - Grenzen schützen Leben“ zeigt den Versuch einer moralischen Legitimation, menschenrechtliche Grundsätze zu missachten.
Ihre gemeinsame Vorstellung ethnisch geschlossener Nationalstaaten erzeugt paradoxerweise eine Internationalisierung ihrer Ideologie, die sich auch in westlichen Demokratien breit macht. In Verbindung ihrer nationalistischen Ideologie mit einer Kritik an einer kapitalistischen Globalisierung beansprucht die neue Rechte außerdem moralisches Kapital für sich.
Ursachen für Resonanz auf Rechtsradikalismus hinterfragt
"Eine rechtsradikale Internationale? Die Identitäre Bewegung in Europa": Prof. Dr. Micha Brumlik hat jetzt in einem gut besuchten Vortrag in der Aula der Evangelischen Hochschule die Ursachen für die Resonanz auf diesen Rechtsradikalismus – nicht zuletzt in akademischen Milieus – hinterfragt und nach möglichen Antworten gesucht.
Begrüßt wurde er von EvH-Rektorin Prof. Dr. Dr. Sigrid Graumann, die auch im Namen der kooperierenden Stadtakademie Bochum die Aktualität des Themas vor dem Hintergrund begründete, dass "Phänomene der Wiederkehr überwunden geglaubter nationalistischer und antiliberaler Strömungen auch die Hochschule als Bildungsinstitution wie die Stadtgesellschaft herausfordern".
Prof. Dr. Thomas Eppenstein hatte für seine Begrüßung ein Chassidisches Sprichwort gewählt: "Jeder Mensch ist ein Instrument und sein Leben ist die Melodie". Mit Micha Brumlik, so Eppenstein, empfange die Hochschule einen Gast, der gleich mehrere Melodien und Musikgattungen in sich vereine und in seiner wissenschaftlichen Vita zum Erklingen gebracht habe. "Für Pädagogik und Soziale Arbeit gelten seine grundlegenden Arbeiten als Partitur für eine kritische Praxis wie deren theoretische Reflexion."
In seiner Analyse der Ideologie der sogenannten identitären Bewegung machte Prof. Dr. Micha Brumlik sodann deutlich, dass der „Kampf um das Eigene“ auf vier Ebenen geführt werde:
erstens als „Metapolitik“ im Kampf um Begriffe und das Denken,
zweitens als Aktivismus, der sich einer emotionalisierten Sprache und einer Abkehr vom bürgerlichen Leben verschreibt,
drittens einer Ideologisierung von homogener Gemeinschaft, die sich gegen ethnisch Fremde oder Muslime richtet, sofern sie im eigenen Land, in eigener Nachbarschaft oder gar ehelicher Vermischung auftreten, sowie
viertens als Ausbildungsperspektive für die ‚eigene‘ Jugend ohne Migrationshintergrund.
Merkmale einer Jugendbewegung treten hervor, so etwa Jugendlichkeit, Betonung und Pflege einer ‚eigenen‘ Kultur, verknüpft mit einer Corporate Identity und jugendaffinen Aktionsformen. In ihren Kampagnen zeigen sich globalisierungs- und kapitalismuskritische Attitüden, die in der Tradition eines völkischen Antimodernismus ethnisch geschlossene Nationalstaaten zum Ziel haben.
Allerdings unterscheidet sich die rechte Kritik an Globalisierungsfolgen gegenüber jener seitens demokratischer Kräfte durch die verschwörungstheoretische Fiktion, hier seien – etwa in Hinblick auf die weltweite Fluchtmigration – Kräfte des Kapitals absichtsvoll am Werk.
Zur Attraktivität rechter Ideologien
Zu erkennen ist eine Programmatik, wie sie auf politischer Ebene von rechtspopulistischen Parteien international und in Europa angestrebt wird - nach den jüngsten Bundestagswahlen nun auch von der AfD Alexander Gaulands in Deutschland. Brumlik belegte und illustrierte seine Studie anhand zahlreicher Quellen und Zitate auch aus dem akademischen Milieu der sogenannten neuen Rechten und konnte zeigen, dass deren Ideologie keineswegs theoriefrei daherkommt.
Von der klassischen rassistischen Ideologie unterscheidet sie sich vor allem dadurch, dass nun nicht mehr von einer Differenz der Rassen, stattdessen von ‚Kulturen‘ gesprochen wird. Der universelle Anspruch der Menschenrechte wird in Frage gestellt, indem ‚Menschen‘ im Weltbild des Rassismus nur mehr als Angehörige eines jeweiligen Volkes gedacht werden.
Die sozialwissenschaftliche Unterscheidung von Gesellschaften und Gemeinschaften wird unterlaufen, indem der Staat zuvorderst als ‚Gemeinschaft‘ eines kulturell homogenen Volkes gefordert wird. Das Theorieangebot der Identitären sei, so Brumlik, nicht zuletzt deshalb für intellektuell interessierte, jüngere politisch rechts stehende Akademiker_innen verlockend, weil es die Möglichkeit zur Artikulation eines Ethnonationalismus jenseits des historisch diskreditierten Hitlerismus bietet.
Hochschulen und außerschulische Bildungsarbeit sind gefordert
Soll ein Rückfall in Nationalismus verhindert werden, sind Hochschulen und außerschulische Bildungsarbeit gefordert, gegen fremden- und flüchtlingsfeindliche Tendenzen den Gedanken der Solidarität zu fördern und dabei auch historisches Wissen um die verheerenden Folgen nationalistischer Politik im 20. Jahrhundert wach zu halten.
Im Sinne einer ‚versöhnten Verschiedenheit‘ in demokratisch verfassten Gesellschaften komme es darauf an, auch grundlagentheoretisch auf die Frage einzugehen, wie eine angemessene Antwort auf Orientierungsverluste im Kontext von Globalisierung und Digitalisierung aussehen kann.
Prof. Dr. Micha Brumlik lehrte am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/M.. Seit Oktober 2013 ist er Senior Advisor am Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg, von 2000 bis 2005 leitete er das Fritz-Bauer-Institut Frankfurt/M..
Die Veranstaltung war eine Kooperation der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe mit der Stadtakademie Bochum und fand im Rahmen der "Initiative gegen Rechtsextremismus" des Runden Tischs Weiterbildung Bochum statt.
Prof. Dr. Thomas Eppenstein und EvH-Rektorin Prof. Dr. Dr. Sigrid Graumann (v.l.) begrüßten Prof. Dr. Micha Brumlik und Arno Lohmann, Leiter der Ev. Stadtakademie Bochum, an der Hochschule. Foto: Gottschick